Lernende Unternehmen – Chancen und Risiken von Mitarbeiterentwicklungsgesprächen

Das Thema Personalentwicklung gewinnt sowohl im Mittelstand als auch im Konzernumfeld zunehmend an Bedeutung. Aktuelle Studien belegen, dass ökonomisch erfolgreichere Unternehmen ihre Mitarbeiter häufiger bzw. intensiver schulen. Fakt ist: Das lernende Unternehmen gewinnt eine strategische Bedeutung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein Blick auf die Chancen und Risiken von Mitarbeiterentwicklungsgesprächen.

Nach wie vor spielt in puncto Personalentwicklung die Zielsetzung, die Qualifikation der Mitarbeiter für gegenwärtige und künftige Aufgaben systematisch sicherzustellen, die ausschlaggebende Rolle. Hier gilt es jedoch zu beachten, dass Mitarbeiter zunehmend in wechselnden Projekten und Arbeitsgruppen tätig werden und daher fortlaufend mit sich verändernden Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert werden. Personalentwicklung ist und bleibt daher ein kontinuierlicher Prozess, der auf wandelnde Anforderungen reagieren muss und diese bestenfalls antizipiert.

Angesichts eines Arbeitsmarktes, in dem sich das Machtgefüge zunehmend zugunsten von Bewerbern verschiebt, rücken weitere Aspekte in den Fokus: Personalentwicklung wird zu einem essenziellen Hebel bei der Rekrutierung neuer und der Bindung bestehender Arbeitskräfte. Die Zahl der Bewerber und Kandidaten, die gezielt nach individuellen und systematischen Personalentwicklungsmaßnahmen fragen und diesen Aspekt in ihre Entscheidung für oder gegen ein Unternehmen einfließen lassen, steigt kontinuierlich.

Zudem stellen wir als Personalberater in der Direktansprache fest, dass immer mehr Kandidaten eine mangelnde Weiterentwicklungsperspektive bzw. fehlende berufliche Fortbildung bei ihrem aktuellen Arbeitgeber als Wechselmotivation formulieren. Viele Unternehmen reagieren und erkennen in der Einführung oder Weiterentwicklung entsprechender Maßnahmen auch die Chance, ihre Arbeitgebermarke positiv zu beeinflussen und sich im Wettbewerb um Talente von Mitbewerbern zu differenzieren.

Mitarbeiterentwicklungsgespräche richtig vorbereiten und durchführen

Im Rahmen der Personalentwicklung werden vielfältige Verfahren und Instrumente eingesetzt. Besonderer Beliebtheit erfreut sich das Mitarbeiterentwicklungsgespräch (MAEG). Allgemein gilt es als vielversprechendes Führungsinstrument, um Personalentwicklungsbedarf zu erfassen und zugleich die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu verbessern. Vordergründig lässt es sich ohne großen Aufwand an Ressourcen und einfach realisieren. Schließlich kennen die vorhandenen Führungskräfte ihre Mitarbeiter und deren Potenzial am besten und sollten damit per Definition befähigt sein, erfolgreiche Gespräche mit ihrem Personal durchzuführen. Die Realität sieht leider häufig anders aus. Nicht selten kommen wenig abgesicherte, teils abenteuerlich anmutende Maßnahmen zum Einsatz; Führungskräfte fühlen sich in schwierigen Gesprächssituationen überfordert, Mitarbeiter verlassen mit enttäuschten Erwartungen und nachhaltig frustriert das Gespräch. Die eigentliche Zielsetzung wird verfehlt, mitunter sind die Konsequenzen so ernüchternd, dass bereits eingeleitete Maßnahmen abgebrochen werden müssen, um den Schaden zu begrenzen. Wie jedes andere Instrument auch, sollte das MAEG in ein Personalentwicklungskonzept eingebettet sein. Vorab müssen Ziele und Methodik definiert und zur Verfügung stehende Ressourcen analysiert und berücksichtigt werden. Darüber hinaus spielt die frühzeitige und professionelle unternehmensinterne Kommunikation geplanter Maßnahmen eine entscheidende Rolle, um Akzeptanz bei Durchführenden und Adressaten sicherzustellen. Der Einsatz von Werkzeugen, Methoden und Verfahren bedarf grundsätzlich deren sorgfältiger Vorbereitung und einer gründlichen Schulung der Führungskräfte, ehe diese mit ihren Mitarbeitern ins Gespräch gehen.

Auf einer soliden Basis aufbauen

Notwendige Basis zur Einführung von Mitarbeiterentwicklungsgesprächen ist eine sorgfältige Aufgabenanalyse. Diese ist Bestandteil der Bedarfsanalyse, die zwingend den Ausgangspunkt jeglicher Maßnahmen einer zielorientierten Personalentwicklung bildet. Schließlich lässt erst die Bedarfsanalyse erkennen, welche Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind und welche für die gegenwärtige und künftige Aufgabenerfüllung benötigt werden. Dabei bezieht sich der Begriff der Kompetenz nicht ausschließlich auf die fachliche Qualifizierung (Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten) der Mitarbeiter. Neben Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz stehen zunehmend auch personale Kompetenzen wie die Fähigkeit zum reflexiven und selbstorganisierten Handeln im Fokus. In Summe gilt es also auch Motivation, Einstellung und Interessen der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Die Bedarfsanalyse führt zu einem Vergleich notwendiger und bestehender Kompetenzen, aus dem schließlich Entwicklungsbedarf und -ziele fundiert abgeleitet werden können.

Der Prozess erfolgt mehrstufig: Zunächst werden in einem Top-down-Ansatz die strategischen Unternehmensziele der Personalentwicklung sowie vorhandene Ressourcen analysiert. Durch MAEG oder Mitarbeiterbefragungen kann dieser Prozess um eine Bottom-up-Perspektive ergänzt werden, indem die Zielsetzungen und Vorstellungen der Mitarbeiter ebenfalls erfasst und einbezogen werden. Die sich anschließende Aufgaben- und Personanalyse bildet den Kern der Bedarfsanalyse. Zu jeder Position muss eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung (Tätigkeitsprofil) erstellt werden. Erst wenn diese vorliegt, kann hieraus ein stellenspezifisches Anforderungsprofil abgeleitet werden. Beide Profile bilden die Grundlage, auf welcher die Führungskraft das MAEG aufsetzen sollte. Im Zuge der Personanalyse werden vorhandene und angestrebte Kompetenz der aktuellen Positionsinhaber in einem Kompetenzprofil zusammengefasst. Dieses berücksichtigt eine vergangenheitsorientierte Kompetenzanalyse sowie eine zukunftsorientierte Potenzialanalyse. Erst der Abgleich zwischen Anforderungs- und Kompetenzprofil offenbart den individuellen Bedarf an Personalentwicklungsmaßnahmen. Das MAEG ist ein Werkzeug neben anderen, um die Personanalyse umzusetzen. Hier sollte der Blick über den aktuellen Arbeitsplatz und dessen Anforderungen hinausgehen, um eine zukunftsgerichtete Personalentwicklung zu ermöglichen. Ergänzt werden kann das MAEG um validierte und adressatengerechte eignungsdiagnostische Verfahren.

Das MAEG bietet die Chance, im Dialog zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter Kompetenzen zu diagnostizieren und gezielt zu fördern. Es offeriert einen Rahmen zur Selbstreflexion des Mitarbeiters – Voraussetzung, um diesen aktiv in die Gestaltung der eigenen beruflichen Weiterentwicklung einzubinden. Denn vor dem Hintergrund einer komplexer werdenden Arbeitsumgebung fällt dem Arbeitnehmer zunehmend Verantwortung für die eigene Kompetenzentwicklung zu. Diesem sollte vermittelt werden, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich die Verantwortung für die individuelle Weiterbildung teilen. Übergeordnetes Ziel ist es, die Persönlichkeit, Entwicklungsfähigkeit und -ziele der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen in Einklang zu bringen. Das MAEG bietet Raum zur gemeinsamen Reflexion und ermöglicht ein Feedback bzgl. Qualität und Potenzial der Zusammenarbeit.

Kontinuität erhöht den Erfolg der Maßnahmen

Das MAEG sollte regelmäßig (z. B. jährlich), anlassbezogen (Beförderung) oder auf Wunsch des Mitarbeiters erfolgen. An dieser notwendigen Kontinuität scheitern nicht wenige Vorgesetzte – häufig aufgrund mangelnder zeitlicher Ressourcen – auch, weil anderen Aufgaben eine höhere Priorität eingeräumt wird. Unregelmäßige Gespräche, die möglicherweise noch zu Ungleichbehandlungen im Kollegenkreis führen, bergen das Risiko der Demotivation und können zu falschen Rückschlüssen aufseiten der Mitarbeiter führen. Verschärft wird der Effekt, wenn aus Zeitmangel der Austausch –zwischen Tür und Angelì erfolgt. Das MAEG bedarf beiderseitiger Vorbereitung, bspw. in Form eines Gesprächsleitfadens. Bei dessen Gestaltung muss berücksichtigt werden, dass sich die Belegschaft aus Mitarbeitern mit unterschiedlichen Lese- und Schreibgewohnheiten und Bildungsniveaus zusammensetzt. Er sollte sich als Gerüst zur Vorbereitung und Durchführung des Gespräches eignen. Die Kompetenzeinschätzung erfolgt in der Regel im Rahmen des Diskurses zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter. Es folgt eine Abstimmung von Entwicklungsmaßnahmen, die zwingend auch Bedürfnisse und Wünsche des Mitarbeiters berücksichtigen sollte. Diesem Dialog entspringt der positive Effekt des MAEG: Die Mitarbeiter erhalten ein Feedback zu ihrer Leistung, zugleich begeben sie sich in einen Reflexionsprozess bzgl. der eigenen Kompetenzen und Schwächen und werden direkt in den Prozess der Problemlösung bei eventuellen Defiziten miteinbezogen. Voraussetzung hierfür ist eine Gesprächsatmosphäre, in welcher der Beschäftigte aus einer Vogelperspektive Arbeitsumgebung und eigene berufliche Entwicklung beobachten und kritisch reflektieren kann, um sich konstruktiv an seiner Weiterentwicklungsplanung zu beteiligen. Direktes Feedback durch Vorgesetzte sowie die Partizipation an der Problemlösung spiegeln Wertschätzung wider und fördern somit sowohl die Qualität der Zusammenarbeit als auch die Motivation und Zufriedenheit des Mitarbeiters. Die Aussicht auf individuell zugeschnittene Fortbildung nimmt ebenfalls positiven Einfluss auf die Zufriedenheit der Beschäftigten – angesichts des allseits spürbaren Fachkräftemangels ein effektives Mittel, um wertvolle Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Neben der individuellen Kompetenzerhaltung und -förderung profitieren Arbeitgeber gleichzeitig von einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, -motivation und -bindung.

Weiterentwicklungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter eröffnen

Dies gilt ausdrücklich auch für die gezielte Förderung älterer Arbeitnehmer. Hier zeigt die Praxis, dass der Zugang zu Personalentwicklungsmaßnahmen in Unternehmen häufig ungleich verteilt ist. Mitarbeiter mit hoher formaler Qualifikation schneiden in der Regel besser ab als Beschäftigte mit geringerem Qualifikationsgrad. Im Unternehmen entsteht so leicht der Eindruck, dass Personalentwicklung nicht für alle Mitarbeiter in gleichem Maße ernst genommen wird. Allgemein sinken innerhalb eines Unternehmens die Chancen zur Teilnahme an einer Fortbildung mit zunehmendem Alter und steigen kongruent zum erworbenen Bildungsstand (vgl. bspw. AES 2014 Trendbericht). Die Mitarbeiter sind sich der sozialen Selektivität beruflicher Fort- und Weiterbildung häufig durchaus bewusst. Hier besteht Bedarf, durch entsprechende Maßnahmen dem Eindruck einer –Zweiklassengesellschaftì innerhalb des Unternehmens entgegenzuwirken.

Auch wenn das MAEG in der Regel durch den direkten Vorgesetzten geleitet wird, da dieser das Potenzial seiner Mitarbeiter am besten kennen sollte, ist zu bedenken, dass dieser nicht per se über die notwendige Methodenkompetenz und Fähigkeit zur professionellen Gesprächsführung verfügt. Spätestens bei der Zusammenstellung konkreter Weiterentwicklungsmaßnahmen sollte er auf die professionelle Unterstützung der HR-Abteilung zurückgreifen können. Bestenfalls erfolgt bereits vor der Gesprächsdurchführung eine enge Abstimmung mit dem Personalbereich. Voraussetzung dafür ist, dass hier ausreichend Expertise aufgebaut wurde, um Personalentwicklungsthemen voranzubringen.

Der Mitarbeiter verfügt im Gespräch zumeist nicht über den nötigen Wissens- und Erfahrungsschatz dazu, welche Maßnahmen überhaupt denkbar sind und zur Verfügung stehen. Daher ist er nur begrenzt in der Lage, konkrete Entwicklungswünsche zu artikulieren. Aufgabe des MAEG ist es daher auch, Transparenz über Möglichkeiten der individuellen Weiterentwicklung zu schaffen. Auch in diesem Punkt ist der Vorgesetzte auf entsprechende Vorarbeit aus dem Personalbereich angewiesen. Den Erkenntnissen und Empfehlungen aus dem Gespräch müssen zeitnah auch entsprechende Konsequenzen folgen. Das MAEG darf nicht bei der bloßen Erfassung von Kompetenzen und Entwicklungsbedarf stehenbleiben, ansonsten wird es zur Farce. Frustration und das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, sind die nachvollziehbare Konsequenz.

Des Weiteren verknüpfen Mitarbeiter einen Zuwachs ihrer Kompetenzen mit Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen. Besteht hierfür mittelfristig keine Perspektive, orientieren sie sich im Zweifel neu. Eine vorausschauende Personalentwicklung ohne Einbindung der strategischen Personalplanung läuft dementsprechend ins Leere.

Mitarbeiterentwicklungsgespräch ist nicht gleich Mitarbeitergespräch

Entscheidendes Akzeptanzkriterium für das MAEG ist die klare Abgrenzung zu weiteren Mitarbeitergesprächen, insbesondere dem Beurteilungsgespräch. Dieses verfolgt eine andere Zielsetzung, verläuft nicht selten problemorientiert und weckt beim Adressaten einen anderen Erwartungshorizont. Eine offene und kritische Selbstreflexion ist in diesem Gesprächskontext seitens des Mitarbeiters nicht zu erwarten, das Risiko von Interessenkonflikten ist groß. Von einer Vermischung beider Gesprächsformen ist daher abzuraten – sie ist für ein vertrauensvolles Gesprächsklima nicht förderlich. Alle Mitarbeitergespräche erfordern jedoch den gleichen geschützten Rahmen, der sich auf ein im Vorfeld fundiertes und systematisch eingeführtes Konzept zur Gesprächsdurchführung stützt. Auch eine im Unternehmen einheitliche und zugleich transparente Vorgehensweise, sorgfältige beiderseitige Vorbereitung, absolute Vertraulichkeit der Gesprächsinhalte sowie methodisch und kommunikativ geschulte Führungskräfte sind unbedingt erforderlich. In den letzten Jahren ist es zum Teil Mode geworden, formalisierte Mitarbeitergespräche insgesamt abzuschaffen. Es heißt, sie seien zu bürokratisch und nicht zielführend. Wir meinen, dass unter Beachtung von Differenzierung, Transparenz und Professionalität das Mitarbeitergespräch nach wie vor als notwendiges und wertvolles Führungsinstrument zum Einsatz kommen sollte. Die Notwendigkeit, unabhängig von terminierten Gesprächen regelmäßig mit den eigenen Mitarbeitern in Kontakt zu stehen und Feedback zu bieten, bleibt davon unberührt.

 

Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt. Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige jedes Geschlechts.