Obwohl er einen exzellenten Ruf als Verkäufer genoss, konnte sich der neue Vertriebsleiter nicht lange im Unternehmen halten. Zu groß waren die persönlichen Differenzen zwischen ihm und seinen Mitarbeitern. Für die Geschäftsführung war schnell klar: Hier stimmten weder Chemie noch Ergebnis. Die Trennung erfolgte noch in der Probezeit.
Fehlbesetzungen wie die eben beschriebene gibt es in Unternehmen regelmäßig. In einer Studie der Unternehmensberatung Pape, die 2014 unter 2.800 deutschen Personalchefs und Geschäftsführern durchgeführt wurde, gab rund ein Drittel der Befragten an, im zuvor abgelaufenen Halbjahr mindestens eine Fehlbesetzung getätigt zu haben. Dies deckt sich mit einer Kienbaum-Studie, nach der bis zu 25 Prozent der getroffenen Personalentscheidungen innerhalb der ersten beiden Jahre durch das Unternehmen oder den neuen Mitarbeiter selbst korrigiert werden.
Durch das Konzept des „Cultural Fit“ lassen sich Fehlbesetzungen wirksam vermeiden. Der Begriff beschreibt den Grad der Übereinstimmung zwischen Kandidat und dem einstellenden Unternehmen, bezogen auf Denkmuster, Verhaltensweisen und übergreifenden Wertekanon. Bewerber mit einem passenden Fit einzustellen, zahlt sich aus, da das Onboarding nachweislich erfolgreicher verläuft, die Frühfluktuation sich verringert und die Motivation der Mitarbeiter insgesamt höher ausfallen wird.
Wie misst man eine Unternehmenskultur?
Die Herausforderung: Um den Cultural Fit eines Kandidaten messen zu können, bedarf es einer genauen Vorstellung von der vorherrschenden Unternehmenskultur. Ohne eine klare Definition der Unternehmenswerte ist keine Beurteilung möglich. Da der Begriff Kultur als solcher aber ebenfalls kaum messbar ist, werden in der Regel Verhaltensausprägungen ermittelt, die sich auf die Themen Kommunikation, Führung und Offenheit fokussieren.
Diese Herangehensweise führt jedoch direkt in die nächste Herausforderung: Die durch den jeweiligen Mitarbeiter wahrgenommene Unternehmenskultur ist nämlich tatsächlich vor allem eine Führungskultur, die der unmittelbaren Erfahrung mit der eigenen Führungskraft entspringt. Gerade in größeren Unternehmen mit vielen voneinander getrennt arbeitenden Bereichen und Abteilungen gibt es daher oft kaum eine übergreifende Unternehmenskultur, sondern eine Vielzahl mehr oder weniger ausgeprägter „Mikrokulturen“, die sehr stark von der offiziell deklarierten Linie abweichen können.
Es wundert dann auch nicht, dass sich gemäß einer aktuellen Untersuchung des Stellenportals StepStone rund zwei Drittel aller Angestellten nicht eindeutig mit der Kultur ihres Unternehmens identifizieren können. Wie aber soll dann eine vernünftige Kandidatenpassung möglich sein? Eine wichtige Grundvoraussetzung ist es, die jeweilige Führungskraft eng in den Recruiting-Prozess einzubinden. Sind im Vorfeld die Erwartungen an den gesuchten Kandidaten klar definiert und auch die Besonderheiten der Führungskraft berücksichtigt, steigt die Chance, die jeweilige Vakanz erfolgreich zu besetzen.
Vielfalt trotz kultureller Passung
An dieser Stelle sei allerdings auch auf ein gefährliches Missverständnis hingewiesen. Nicht zu verwechseln ist das Konzept des Cultural Fit nämlich mit dem verbreiteten Beurteilungsfehler, insbesondere solche Eigenschaften positiv zu bewerten, die eine hohe Übereinstimmung mit denen des Bewerters aufweisen: Leider ist es ein bekanntes Problem im Recruiting, dass Führungskräfte meist Kandidaten präferieren, die ihnen ähneln.
Im Rahmen einer passungsorientierten Recruiting-Strategie besteht daher die Gefahr, dass durch einen falsch verstandenen „Cultural Fit“-Ansatz die kulturelle Vielfalt im Unternehmen leidet. Hier ist es wichtig, zwischen dem „Supplementary Fit“ und dem „Complementary Fit“ zu unterscheiden.
Ganz nach dem Motto „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ zielt der Supplementary Fit darauf ab, vor allem solche Kandidaten einzustellen, welche die Unternehmenskultur bereits bestmöglich widerspiegeln. Der Complementary Fit beschreibt den gegenteiligen Ansatz: Gegensätze ziehen sich an. Hier sucht man gezielt nach Kandidaten mit Eigenschaften, die dem Unternehmen heute noch fehlen. Gerade die vermeintlich unzureichende Passung trägt hier zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur bei.
Bauchgefühl und digitale Helfer
Über die Bedeutung des Cultural Fit herrscht weitgehende Einigkeit. Gemäß der aktuellen StepStone-Studie halten 93 Prozent aller befragten Unternehmen die kulturelle Passung eines Kandidaten für wichtig. Entschieden wird dennoch meistens eher nach Bauchgefühl. Dabei gibt es vielfältige Möglichkeiten, den Cultural Fit als Bewertungskriterium in den Prozess mit einzubeziehen.
Personalentscheidern stehen heute diverse Ansätze zur Auswahl, die versuchen, den Cultural Fit eines Kandidaten zu messen. So bieten Tools wie der „Cultural Fit Evalueator“ der Unternehmensberatung metaHR oder der „Kulturmatcher“ des Anbieters Cyquest webbasierte Matching-Verfahren für den Einsatz auf den Karriereseiten an. Das Problem: Aufgrund des Settings tendieren beide Tools dazu, sozial erwünschte Antworten herbeizuführen. Da die Kandidaten eine Selbsteinschätzung abgeben, werden vermeintlich positive Antworten präferiert („Teamwork“ ist dabei zum Beispiel positiver konnotiert als „Einzelkämpfer“).
Zudem wird das Matching gegen eine vorab definierte Unternehmenskultur durchgeführt, die mitunter nicht der Realität, sondern vielmehr dem Wunschbild des Arbeitgebers entspricht. Einen etwas anderen Ansatz verfolgt denn auch das relativ neue Tool „Good&Co“. Die Unternehmenskultur wird hier quasi in Form einer kontinuierlichen Mitarbeiterbefragung gemessen. Voraussetzung für ein realistisches Abbild ist allerdings, dass auch eine hinreichend hohe Anzahl von Mitarbeitern an dem Verfahren teilnimmt, was den Gesamtaufwand erhöht. Auch das weiter oben beschriebene Problem der Mikrokulturen stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.
Ob mit oder ohne digitale Unterstützung: Der Cultural Fit sollte als wichtige Größe in jedem Rekrutierungsprojekt mit bedacht werden. Insbesondere bei erfolgskritischen Funktionen lohnt dabei auch der Einsatz eines externen Beraters. Dieser kennt das Unternehmen idealerweise bereits aus vorhergehenden Projekten, ist mit Kultur und Mikrokulturen vertraut und kann diesbezügliche Aussagen mit konkreten Beispielen untermauern. Als unabhängiger Dritter schützt er zudem vor Beurteilungsfehlern und einer rein ähnlichkeitsbasierten Auswahl – den verbreitetsten Fallstricken im Zusammenhang mit einer kulturbasierten Personalauswahl.
Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt. Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige jedes Geschlechts.